Bereits in einem meiner persönlichen Beiträge „Wenn der Körper das seelische Drama trägt“ schrieb ich:
Das Thema, wie psychische und körperliche Faktoren mit Krankheiten zusammenhängen, ist komplex und sensibel. Es gibt gute Gründe, warum es gefährlich sein kann, bei körperlichen Erkrankungen einen übermäßigen Fokus auf die Psyche zu legen, was mir hier an der Stelle fern liegt. In einem neuen Beitrag werde ich formulieren, worin die Gefahr ganz konkret besteht
Hier eine ausführliche Erklärung:
Wenn körperliche Symptome als primär psychisch bedingt angesehen werden, besteht die Gefahr, dass schwere körperliche Krankheiten übersehen werden. Dies kann zu verzögerten Diagnosen und Behandlungen führen, was die Prognose verschlechtert. Zum Beispiel wurden bei einigen Patienten Krankheiten wie Multiple Sklerose, Lupus oder Schilddrüsenerkrankungen zunächst als psychische Probleme abgetan, bis die Symptome gravierender wurden. Ich persönlich habe es erlebt, dass Ärzte mein SAPHO fast 20 Jahre lang als primär psychosomatisch eingestuft haben, weil das Syndrom damals noch sehr unbekannt war.
Körperliche Symptome als „psychosomatisch“ oder „stressbedingt“ zu bezeichnen, kann dazu führen, dass Betroffene das Gefühl bekommen, ihr Leiden wird nicht ernst genommen. Sie könnten als „hypochondrisch“ oder „überempfindlich“ wahrgenommen werden, was das Vertrauen in medizinische Fachkräfte und das Gesundheitssystem schwächt. So etwas erleben im Moment vor allem Menschen, die an ME/CFS leiden.
Wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre körperlichen Beschwerden nicht als real anerkannt werden, kann dies die psychische Belastung erhöhen. Sie fühlen sich alleingelassen oder nicht ernst genommen, was zusätzlichen Stress erzeugt und die Gesundheit insgesamt verschlechtern kann. Dies kann zu einem Teufelskreis führen, in dem körperliche und psychische Beschwerden sich gegenseitig verstärken.
Hinzu kommt auch die Gefahr der einseitigen Behandlung: Wenn der Fokus auf der Psyche liegt, erhalten Betroffene möglicherweise Therapien (z. B. Psychotherapie oder Medikamente gegen Depressionen oder Angststörungen), die nicht zur Besserung der zugrunde liegenden körperlichen Erkrankung beitragen. Gleichzeitig wird die notwendige medizinische Behandlung vernachlässigt, was die körperlichen Symptome verschlimmern kann.
Manche Ärzte schieben Symptome schnell in die psychische Ecke, weil sie sich mit ungeklärten oder seltenen Erkrankungen überfordert fühlen oder weil keine klaren diagnostischen Ergebnisse vorliegen. Dies kann unbewusste Vorurteile fördern, insbesondere bei Frauen oder chronisch kranken Menschen.
Natürlich spielt die Psyche bei der Gesundheit eine Rolle – Stress, Angst oder Depressionen können körperliche Symptome verstärken oder Heilungsprozesse beeinflussen. Doch das bedeutet nicht, dass sie die Ursache für jede Erkrankung sind. Eine ganzheitliche Betrachtung, die sowohl körperliche als auch psychische Aspekte berücksichtigt, ist entscheidend.
Fazit
Die Psyche kann zweifellos Einfluss auf den Verlauf körperlicher Erkrankungen haben, aber es ist gefährlich, körperliche Beschwerden vorschnell als psychisch bedingt abzustempeln. Dies kann zu Fehldiagnosen, unnötigem Leid und einem Vertrauensverlust in die Medizin führen. Ärzte und Patienten sollten sich gemeinsam darauf verlassen, Symptome umfassend zu analysieren und sowohl körperliche als auch psychische Aspekte ernst zu nehmen – ohne dabei voreilige Schlüsse zu ziehen.